Ein Motor für mehrere Baureihen - längst probates Mittel der Motorradindustrie, Entwicklungskosten im Rahmen zu halten bzw. Ressourcen richtig auszunutzen. Also lag es fast auf der Hand, dass auch Aprilias neuer 659-Kubik-Reihenzweizylinder nach RS660 und Tuono 660 eine weitere Verwendung bekommen wird.
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Der in der Leistung beschnittene Motor passt richtig gut zur Tuareg
Wobei man bei den Italienern ausdrücklich betont, dass schon bei der Entwicklung des Motors klar gewesen ist, dass er auch in ein offroad-orientiertes Adventurebike kommen wird und hier nicht im Nachhinein einfach ein bestehendes Aggregat in der Spitzenleistung gekappt und für den Einsatzzweck passend gemacht wurde. Die 80 PS Spitzenleistung bei 9.250 U/min sind zwar knapp 20 weniger als in den beiden Schwesternmodellen, stehen der hochbeinigen Tuareg aber gut zu Gesicht bzw. sind für den Einsatzzweck ebenso ausreichend wie die 70 Newtonmeter maximales Drehmoment, die bei 6.500 Touren zur Verfügung stehen. In der Praxis ergibt das einen stets präsenten Motor, der ausreichend Punch für die Kurvenhatz auf der Straße bietet, was speziell mit dem optional erhältlichen, wunderbar funktionierenden Quickshifter, mit dem unser Testmotorrad ausgestattet gewesen ist, Spaß macht, aber genauso auch gut dosiert bzw. niedertourig durch anspruchsvolle Offroad-Passagen kann.
Die verbauten Komponenten nehmen das "Enduro" im Reiseenduro ernst
Und anspruchsvolle Offroad-Passagen sind nichts, worum man mit der Tuareg 660 einen Bogen machen müsste, ganz im Gegenteil. Denn das vollgetankt nur 204 bzw. trocken 187 Kilo wiegende Motorrad besticht nicht nur durch ein spielerisches Handling, das einem sehr rasch mit dem Fahrzeug vertraut macht, sondern hat auch Komponenten verbaut, die das Enduro im Reiseenduro ernst nehmen und Fahren abseits der befestigten Wege zur Freude machen. Mit 240 Millimeter Federweg vorne wie hinten bügeln die von Kayaba kommenden, voll einstellbaren Fahrwerks-Komponenten (vorne eine 43-Millimeter Upside-Down-Gabel, hinten ein Mono-Federbein) so ziemlich alles weg, was sich einem auch auf den entlegendsten Pfaden entgegenstellen mag, auch die ordentliche Bodenfreiheit von ebenfalls 240 Millimeter sollten fast überall im Gelände ausreichen. Vom Grund-Setting ist das Fahrwerk eher auf der komfortorientierten Seite, es lässt sich aber mit wenigen Klicks genauso auch auf sportlich-stramm trimmen und so nur wenig Wünsche offen. Ein solider Ölwannenschutz aus Aluminium runden den ordentlichen Offroad-Auftritt ab.
Jede Menge einzustellen am TFT-Farbdisplay der Tuareg
Zu dem auch die Enduro typischen Raddimensionen von 21 Zoll vorne und 18 Zoll hinten, ab Werk mit Schlauchlosreifen in Form des universellen Pirelli Scorpion Rally STR sehr passend bestückt, betragen. Sowie eine wirklich ausgezeichnete Ergonomie, ob beim Stehendfahren oder im Sitzen. Die schlanke Sitzbank hat einen engen Schrittbogen, weshalb die Sitzhöhe von 860 Millimeter in der Praxis kaum jemanden über 1,70 Meter Körpergröße überfordern wird, durch ihre durchgehend gerade Form lässt sich auf ihr auch sportlich fahren bzw. bei steilen Abfahrten weit nach hinten rutschen. Der Sitzkomfort ist nicht der Klassenbeste und nach mehreren Stunden im Sattel meldet sich auch mal der Allerwerteste, insgesamt aber doch besser als bei "echten" Enduros oder auch der Yamaha Tenere 700, mit der die Tuareg ja gerne verglichen wird, zumal sie von all ihren Eckdaten dieser am nächsten kommt.
Volles Elektronikprogramm samt gut ablesbarem TFT-Farbdisplay
So ähnlich die erwähnten Eckdaten auch mit jener der beliebten, "puristischen" T7 sein mögen, so unterschiedlich ist der Zugang, was die Elektronik betrifft. Denn da kommt die Aprilia mit so ziemlich allem daher, was ein modernes Adventurebike 2022 "braucht" - oder eben auch nicht, je nach Zugang. Auf jeden Fall kann der Fahrer zwischen vier Fahrmodi wählen: Explore steht für die sportliche Straßenfahrt und könnte ergo genauso Street oder Sport benannt werden, das sanftere Urban für den Stadtverkehr bzw. auch Fahren bei Regen, Offroad für unbefestigte Wege und Individual lässt sich nach persönlichen Präferenzen frei konfigurieren. Sie unterscheiden sich in den voreingestellten Parametern für Gasannahme, Motorbremse, Traktionskontrolle und ABS, wobei die vierstufige Traktionskontrolle mit dem zum ebenfalls serienmäßigen Tempomat gehörenden Wippschalter am linken Lenker auch während der Fahrt in jedem Modus verstellt werden kann.
Der Unterschied ist gut spürbar: In Stufe eins reguliert sie äußerst dezent, womit auch Drifts im Schotter gut möglich sind, in Stufe vier greift sie schon sehr früh ein. Im Offroad- bzw. Individualmodus kann man die Traktionskontrolle aber auch vollständig deaktivieren bzw. auch aufs ABS Einfluss nehmen. Zur Wahl steht normales ABS, ein am Hinterrad deaktiviertes bzw. vorne dezenter eingreifendes Offroad-ABS oder auch vollständig deaktiviertes ABS. Einstellen lässt sich das alles am gut ablesbaren 5-Zoll-TFT-Farbdisplay, die Menüführung ist recht logisch aufgebaut, weshalb man rasch damit vertraut wird. Obendrein lässt sich die Elektronik auch kalibrieren, wenn man etwa das Ritzel ändert oder auch von einem Straßenreifen zu einem Grobstoller, wodurch sich der Radumfang ja auch ein wenig ändert - hierfür fährt man eine Kalibrierungsfahrt im zweiten Gang bei 40 km/h und das System stellt sich auf die neuen Daten ein.
Service-Intervall und Zuladung sind "reisetauglich"
Der Verbrauch pendelt je nach Fahrweise zwischen knapp vier und gut fünf Liter auf 100 Kilometer, was in Verbindung mit dem 18 Liter fassenden Tank Reichweiten von +/- 350 Kilometer ermöglicht, was für eine Reiseenduro ordentlich ist. So wie auch die maximal erlaubte Zuladung von 210 Kilo bzw. der Service-Intervall von 10.000 Kilometern oder einmal im Jahr. Auch das Fahren zu zweit stand im Pflichtenheft unseres Tests, was unserer erfahrenen Sozia zwar keine Jubelschreie entlockte, insgesamt fand sie Komfort und Platz allerdings ausreichend auch für längere Etappen, wenn einigermaßen regelmäßig Pausen eingelegt werden. Die Tuareg ist also auch bereit für die Reise zu zweit, wobei das definitiv nicht ihre größte Stärke ist und der Beifahrer schon ein gewisses Maß an Nehmerqualitäten mitbringen sollte. Nichts zu meckern gibt es über die Bremsen von Brembo, vorne verrichten zwei 300-Millimeter-Scheiben mit Vierkolben-Zange, hinten eine 260er-Scheibe mit Einkolben ihren Dienst, die das Motorrad gut, aber nicht zu giftig für seine Offroad-Ambitionen verzögern.